In den USA erhält jeder Käufer eines Diesel-PKW des VW-Konzerns, der mit Betrugssoftware ausgestattet ist, ungefragt stattliche Entschädigungen. Bei deutschen Kunden setzen VW, Audi und Co. dagegen auf Verjährung, also Unkenntnis, Angst vor Prozessrisiken oder, dass Geschädigte nicht überblicken, wie verblüffend hoch die Schadensersatzansprüche ausfallen, die bei rechtzeitiger sachgerechter Vorgehensweise winken. Rechtschutzversicherungen decken nicht nur „Massenabfertigungen“ bei ortsfernen Vertragsanwälten, sondern die Kosten örtlicher Vertrauensanwälte. Auch ohne Rechtschutzversicherung aber werden in der Regel vom VW-Konzern geprellte Verbraucher und Gewerbekunden alle Verfahrenskosten ersetzt, wenn nur sachgerecht vorgegangen wird. Wer aber zu spät kommt, den bestraft das deutsche Verjährungsrecht. Jüngst kursierten auch erste Meldungen von Manipulationen an Automatikgetrieben von Benzinfahrzeugen des Volkswagen-Konzerns. Ob und mit welchen Rechtsfolgen dort manipuliert wurde, bleibt abzuwarten.
Die Zeit rast und sie rast für VW und die Berichte überschlagen sich. Mal wird ein hochkarätiger Repräsentant des VW-Konzerns in den USA zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt, dann landet der Vorstandsvorsitzende von Audi wegen Verdunklungsgefahr in deutscher Untersuchungshaft. Da verliert man aus dem Auge, wie lang wir um die Umstände der einschlägigen Rechtsbrüche schon wissen. Es ist jetzt in der Tat schon drei Jahre her, dass Volkswagen, Audi und Co. im September 2015 öffentlich gestanden haben, in dem Diesel-Motor des Typs EA189 Betrugssoftware in Form einer verbotene Abschalteinrichtung eingebaut zu haben, mit der amtlich vorgeschriebene Prüfverfahren zu Verbräuchen und Emissionen überlistet und so falsche Werte bei Kauf und Zulassungen erschlichenen wurden.
Zur Erinnerung nochmals die Historie im Detail. Auslöser des Skandals um Motoren des Volkswagen-Konzerns ist ein am 18. September 2015 öffentlich bekanntgemachter Vorgang, bei dem die Volkswagen AG eine illegale Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung ihrer Diesel-Fahrzeuge einräumte, eingangs mit der Begründung, die US-amerikanischen Abgasnormen zu umgehen. Die Aufdeckung des auch Dieselgate genannten Vorgangs wurde durch Ermittlungen und Publikationen der US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) entscheidend mit in Gang gesetzt. Laut Angaben des Volkswagen-Konzerns ist die betreffende Software in weltweit etwa elf Millionen Fahrzeugen mit der Motorenreihe EA189 im Einsatz, in den USA ist auch in der Nachfolgereihe EA288 betroffen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters soll die Software sogar für vier verschiedene Motorentypen angepasst worden sein.
Betroffen sind auch in Europa zugelassene Fahrzeuge der Hersteller Audi und Porsche. Als Folge des Skandals trat der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG, Martin Winterkorn, zurück; der Aufsichtsrat berief den bisherigen Vorstandsvorsitzenden der Porsche AG, Matthias Müller, zu dessen Nachfolger. Der Vorstandsvorsitzende der Audi AG sitzt derzeit wegen dringenden Straftatverdachts und Verdunklungsgefahr in diesem Zusammenhang in Untersuchungshaft; er wurde vom Aufsichtsrat des Unternehmens beurlaubt. Ein führender Mitarbeiter des VW-Konzerns in den USA wurde nach seinem Manipulations-Geständnis zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren Haft verurteilt.
Europaweit (EU28 plus Schweiz und Norwegen) sollen jährlich etwa 5000 Menschen vorzeitig sterben, weil Dieselautos im realen Straßenverkehr die auf Prüfständen gemessenen Grenzwerte für Stickoxide überschreiten. Der Abgasskandal gilt als einer der Hauptgründe dafür, dass einige Staaten wie Deutschland, Frankreich und Österreich die festgelegten nationalen Stickoxid-Grenzwerte nicht einhalten können. Alleine die etwa 2,6 Millionen in Deutschland verkauften Fahrzeuge der VW-Marken Audi, Seat, Škoda und Volkwagen mit Abschalteinrichtung verursachten zwischen 2008 und 2015 in ganz Europa, folgte man dieser These, im statistischen Mittel etwa 1200 vorzeitige Todesfälle mit einem Gesamtverlust von ca. 13.000 Lebensjahren. Anfang 2017 wurde geschätzt, dass im Mittel Todesfälle mit zusammen ca. 29.000 verlorenen Lebensjahren und Gesundheitskosten von 4,1 Milliarden Euro (Wert in 2015) vermieden werden könnten, wenn bis Ende des Jahres alle in Deutschland betroffenen Fahrzeuge so umgerüstet würden, dass sie die Abgas-Grenzwerte einhalten. Erfolgt ist dies bisher nicht umfassend.
Mit hoher krimineller Energie durch die VW-Betrugssoftware getäuscht wurden Behörden, Händler, gewerbliche Käufer und Leasingnehmer und vor allem auch alle Verbraucher, welche betroffene Fahrzeuge (neu oder gebraucht) gekauft oder geleast haben. Alle Geschädigten, gerade auch der Verbraucher stehen vor gewaltigen finanziellen Verlusten, von unerwünschten massiven Umweltbelastungen ganz zu schweigen, die aber ihrerseits auch ganz unmittelbar zu Schäden von VW-Nutzern führen. Ihres hohen Verbrauchs und damit deren Umweltschädlichkeit wegen und wegen verhängter oder drohender Fahrverbote in derzeit zumindest in Innenstädten sind betroffene Diesel-Fahrzeuge der Hersteller des Volkswagen-Konzerns als Gebrauchtwagen massiv im Wert verfallen, häufig nahezu wertlos geworden.
Während in den USA die Käufer von Volkswagen mit allerdings überschaubaren Beträgen automatisch entschädigt werden, ohne Ansprüche anmelden zu müssen, setzt VW in Deutschland anscheinend ganz bewusst darauf, dass eine überwiegende Anzahl Betroffener ihre zum Teil verblüffend hohen Schadensersatzansprüche schlicht verfallen, also nach deutschem Recht verjähren lassen, weil sie untätig bleiben. Goldgeränderte Bilanzzahlen, wie sie der Konzern trotz vieler Millionen von Betrugsopfern kommuniziert, zeugen davon, dass diese Rechnung bisher in Deutschland aufzugehen scheint. Millionen Geschädigter nehmen ihre Rechte nicht war. Ihnen drohen Verluste all ihrer Rechte, wie sie die Bilanzen des Volkswagen-Konzerns nach den Plänen deren Verantwortlicher verbessern sollen.
Dabei hat sich der anfangs kritische Wind einer Pro-VW-Rechtsprechung deutscher Gerichte längst gedreht. Volkswagen verliert mehr und mehr Prozesse mit der Argumentation, den Käufer vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt zu haben. Und alle Konzern-Töchter vermeiden, um unentschlossene Betrugsopfer nicht zu „wecken“ obergerichtliche Entscheidungen der Oberlandesgerichte. Landen Rechtsstreite dort, gleich wie sie in erster Instanz ausgegangen sind, vergleichen sich VW, Audi und Co. mit den Fahrzeugeignern und Leasingnehmern um keine Schlagzeilen mit einem negativen Urteil eines deutschen Obergerichts auszulösen, bevor Verjährung eingetreten ist. Die Gerichte konnten zwischenzeitlich ganz überwiegend davon überzeugt werden, dass jeder vernünftige Durchschnittskäufer oder Leasingnehmer annehmen darf, ein Autohersteller, wie diejenigen des VW-Konzerns, erwirke erforderlichen Straßenzulassungs-Erlaubnisse und Genehmigungen nicht durch bewusste, absichtliche Täuschung.
Schadensersatz gibt es, weil niemand sich auf das Risiko des Erwerbs eines Autos einlässt, wäre er darüber belehrt, dass eine Betrugssoftware eingebaut wird, die weit niedrigere Verbräuche und Emissionen den bisher verwendeten Messsystemen vorgaukelt, als sie tatsächlich anfallen. Denn die derart erschlichenen Zulassungen durch Einsatz unzulässige Abschalteinrichtung hat zwangsläufig unabsehbare negative Folgen für die weitere Nutzbarkeit und den Wert des Fahrzeuges, wie es sich ja auch heute erwiesen hat. Schadensersatz gibt es, weil die Mitarbeiter des Volkswagen-Konzerns behördlich vorgeschriebene Messungen und damit Herstellerangaben manipulierten, um Wettbewerbsvorteil zu erschleichen und gutgläubige Kunden zu überlisten. Grund hierfür ist entweder, entweder VW technisch nicht qualifiziert genug, ausreichend sparsame und umweltfreundliche Technik zu entwickeln, um die gesetzlichen Abgasvorschriften einzuhalten oder man baute lieber billig, als legal und wie beworben.
Das Landgericht Krefeld bringt es auf den Punkt: Die von VW, Audi und Co. an den Tag gelegte Gesinnung, aus Gründen von Unfähigkeit oder Gewinnstreben massenhaft die Käufer der mit Betrugssoftware produzierten Autos bei ihrer Kaufentscheidung zu täuschen ist sittenwidrig. Grund dafür ist, dass dadurch andere Hersteller im Wettbewerb absichtlich benachteiligt und nicht nur die Erwerber finanziell, sondern auch die Umwelt durch überhöhte Emissionen derart geschädigt wird, dass deshalb Gesundheitsgefahren drohen (LG Krefeld Urt. v. 4.10.2017 – 2 O 19/17). Dem schließt sich auch beispielsweise das Landgericht Hanau zwischenzeitlich, wie eine Entscheidung vom 9.6.2018 zeigt, unter Hinweis auf die deutlichen Worte des LG Krefeld an und spricht ebenfalls Schadensersatz zu.
Richtig vorgegangen, kann der Käufer oder Leasingnehmer eines solchen Fahrzeugs den gut ab dem Kauf verzinsten Kaufpreis bei Rückgabe des gebrauchten Autos als Schadensersatz verlangen und sogar alle Kosten für Wartung, Inspektionen, selbst für abgefahrene Reifen. Anrechnen lassen muss er sich lediglich und auch das in vergleichen mit Herstellern des VW-Konzerns nicht immer, sogenannte Nutzungsentschädigung. Diese liegt weit unter dem Wertverlust, den selbst ein ordnungsgemäßes Auto durch Zeitablauf und Nutzung erlitten hätte. Der Fluch der „bösen Tat“ für VW, Audi und Co. ist also, dass der Geschädigte, wenn er sich rechtzeitig qualifiziert kümmert, nicht billiger Auto fahren kann, wenn er nur rechtzeitig Volkswagen sein weitgehend wertloses Fahrzeug noch rechtzeitig durch Gerichtsentscheidung auf den Hof stellen lässt.
Das heißt aber auch, der Käufer oder Leasingnehmer eines Dieselfahrzeuges kann nicht in Ruhe abwarten, bis VW genügend Prozesse verloren hat und ohne eigenes Kostenrisiko dann das Fahrzeug irgendwann später zurückgeben kann. Das funktioniert nicht. In Deutschland entschädigen Volkswagen, Audi und Co. nicht von sich aus, weil man hofft, durch die Untätigkeit und Unschlüssigkeit vieler Betroffener und die anstehende Verjährung von Ansprüchen mehr einsparen zu können, als man an Schadensersatz und Prozesskosten mehr, als in den USA ausgeben muss, wo man an alle Betrugsopfer selbst ohne Aufforderung zahlt. Die Publikation von Milliardengewinnen des Volkswagenkonzerns gibt jener Taktik Recht. Die meisten VW-Opfer taumeln tatenlos noch immer in Deutschland der Anspruchsvernichtenden Verjährung untätig entgegen.
Das ist wegen des am Jahresende eingreifenden Rechtsinstituts der Verjährung möglich. Verjährung ist der Wegfall der Durchsetzbarkeit eines Anspruchs schlichtweg infolge Zeitablaufs. Die Verjährungsfrist eines Schadensersatzes gegen Volkswagen, Audi und Co. beträgt drei Jahre. Drei Jahre ist es jetzt her, dass VW die Verwendung von Betrugssoftware öffentlich zugegeben hat.
Das bedeutet, Ansprüche können massenhaft am Jahresende verjähren, wenn man sie nicht durch Anrufung der Gerichte unterbricht. Die Verjährung beginnt nämlich erst mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in welchem der Anspruch erstmals von geschädigten gemacht werden kann und läuft dann drei Jahre. Erstmals Kenntnis von der Betrugssoftware und deren Folgen konnte die Öffentlichkeit im Jahre 2015 nehmen, die dreijährige Verjährungsfrist beginnt also mit dem Ende des Jahres 2015 zu laufen und endet Ende 2018. Ganz wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang, dass es nicht darauf ankommt, wann der Geschädigte das Fahrzeug gekauft hat, dies kann ruhig länger her sein, als drei Jahre. Entscheidend ist der Moment, zu welchem er Kenntnis Tatsachen erlangt hat oder grob fahrlässig nicht bemerkte, welche die Geltendmachung von Schadensersatz ermöglichen.
Wer also einen Diesel mit einem manipulierten Motor hat, sollte vorsorglich noch in diesem Jahr vor Gericht ziehen. Sonst läuft er Gefahr, für immer in die Röhre zu schauen. Damit ist nicht gesagt, dass Schadensersatzansprüche wegen (Gebrauchtwagen-) Käufen nach Aufdeckung des Skandals in jedem Fall ausscheiden. Da braucht es eine genaue Bewertung des Einzelfalls. Man darf also gespannt sein, ob die Rechnung des Volkswagen-Konzerns aufgeht, wonach es billiger ist, hohen Schadensersatz und erhebliche Prozesskosten zu zahlen, weil Millionen Geschädigte zu ängstlich sind oder ihre Chancen verkennen und deshalb ihre Ansprüche verjähren lassen. „Alle Verkehrsrechtsschutzversicherungen gewähren in den Abgasstreitigkeiten völlig unproblematisch Deckungsschutz, alle Gerichte ggf. Prozesskostenhilfe. Die Erfolgsaussichten eines Prozesses gegen VW, Audi und Co. sind hervorragend, sodass man auch ohne Versicherungsschutz mit Kostenerstattung rechnen darf, “ so der Hanauer Verkehrsrechtsexperte Rechtsanwalt Ingo Thiele vom Büro Nickel Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Fachanwälte in Hanau. „ Auch wer keine Rechtsschutzversicherung besitzt, wird von mir persönlich und natürlich auch anderen juristischen Spezialisten kostenlos mit einer Ersteinschätzung der rechtlichen Situation versehen. Mir ist es daher unerfindlich, wie groß die Zahl derer noch ist, die, obwohl geschädigt, nicht gegen den vielleicht größten deutschen Industrieskandal der Nachkriegsgeschichte aufstehen und ihre Rechte herschenken“ so das Fazit, des Hanauer Verkehrsrechtsexperten. Gespannt darf man sein, ob sich jüngste Publikationen zu Manipulationen auch an Automatikgetrieben von benzinfahrzeugen konkretisieren, und ob dies zu ähnlichen Rechtsfolgen führt, wie sie derzeit nur für Dieselfahrzeuge zur Anwendung kommen.
Ingo Thiele*
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verkehrsrecht
*Ingo Thiele, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrs- und Versicherungsrecht, ist seit mehr als 20 Jahren von Hanau aus bundesweit als Prozessanwalt tätig und beschäftigt sich spezialisiert mit allen Rechtsfragen rund um das Auto und den Straßenverkehr.
Office Hanau / Sophie Scholl Platz 6 / Hanau
E-Mail info@nickel.de
Tel +49 (0)6181 30410-0