Steuervereinfachung durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011

10. Juni 2012 - Steuerrecht

oder: Der Berg kreißte und gebar eine Maus

Die Redensart vom Berg und der Maus stammt aus der Ars poetica des römischen Dichters Horaz (65 bis 8 v. Chr.). Dort heißt es in Vers 139: „Es kreißen die Berge, zur Welt kommt nur ein lächerliches Mäuschen” (lateinisch: Parturient montes, nascetur ridiculus mus). Horaz kritisierte die Dichter, die nur wenig von dem halten, was sie versprechen. Auf das auf Horaz zurückzuführende Bild denkt man unwillkürlich, wenn man betrachtet, was seit der letzten Bundestagswahl und nun aktuell – zum Teil allerdings auch eingebremst durch die Bundesratsmehrheit – an Steuervereinfachungen auf den Weg gebracht wurde und wird.

Im Anschluss an eine entsprechende Beschlussfassung des Bundestag hat nun auch am 23.09.2011 der Bundesrat dem so genannten Steuervereinfachungsgesetz 2011 zugestimmt.
Der Bundestag hatte unmittelbar zuvor am 23.09.2011 beschlossen, die Einkommensteuererklärung müsse weiterhin jährlich erfolgen. Mit dem Verzicht auf den ursprünglichen Vorschlag der Koalitionsfraktionen, die Einkommensteuererklärung nur alle zwei Jahre zu ermöglichen, folgte der Bundestag der von der Mehrheit des Bundesrats erzwungenen Empfehlung des Vermittlungsausschusses und änderte das bereits vom Bundestag am 09.06.2011 beschlossene Steuervereinfachungsgesetz 2011 auf Betreiben der Länderkammer ab. Im Anschluss daran hat dann der Bundesrat dem vom Bundestag verabschiedeten Gesetz (BR-Drs. 568/11) gemäß Artikel 105 Absatz 3, 106 Absatz 3 und 108 Absatz 5 des Grundgesetzes zugestimmt endgültig zugestimmt.
Nach den Angaben der Bundesregierung werden damit 35 Änderungen in Form von Steuervereinfachungen und Modernisierungen in das deutsche Steuerrecht eingefügt werden.
Die gerade in der Öffentlichkeit als echte und zentrale Verbesserung wahrgenommene geplante Schaffung der Möglichkeit der zweijährigen Steuererklärung scheiterte aber, wie dargestellt, an der Mehrheit im Bundesrat. Insbesondere unter Hinweis hierauf war das Gesetz im Juli 2011 im Bundesrat in der damals vorgelegten Form abgelehnt worden. Es bleibt also für alle Erklärungspflichtige beim jährlichen (virtuellen) Gang zum Finanzamt.

Erfüllt das Gesetz die in der Vergangenheit von der Koalition geweckten Erwartungen, dass neben Erleichterungen auch substantielle Vereinfachungen durchgesetz werden aus Sicht des Verfassers erneut nicht, so sind die Neuregelungen dennoch nicht sämtlichst ohne Bedeutung: Die Änderungen zielen überwiegend auf Bürger, aber auch in einzelnen Punkten auf Unternehmen ab. Überwiegend werden Sie 2012 in Kraft treten. Zwei Regelungen aber gelten bereits für 2011.

Als wichtigste Änderungen und Auswirkungen des Gesetzes sind zu nennen: Die Neuregelung sieht Änderungen vor, welche zu weniger bürokratischem Aufwand in Unternehmen führen sollen und auch anderweitig gewisse Vorteile bieten.
Eine steuerlich anerkannte elektronische Rechnungsstellung wird erleichtert. Nach Angaben der Bundesregierung sollen die Unternehmen in Deutschland dadurch pro Jahr ca. vier Milliarden Euro und damit im Bereich der Rechnungstellung etwa die Hälfte der Bürokratiekosten bei konsequenter Anwendung der neu geschaffenen Möglichkeiten sparen können. Welcher Aufwand für Betriebsumstellungen insbesondere in kleineren Unternehmen erforderlich werden könnte, wird in diesem Zusammenhang nicht von der Bundesregierung angegeben. Fürderb Rechtsverkehr in Deutschland steuerpflichtiger Unternehmen und soweit werde diese Erleichterung bereits ab 2011 gelten. EU-weit sollen entsprechende Regelung bis 2013 in den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden.
Nach Auffassung der Bundesregierung soll überhaupt die Nutzung elektronischer Formulare weitere Entlastungen Unternehmen bringen. Jedenfalls wird dies auf der Seite der Finanzverwaltung so sein und wird jene Rationalisierung der Abläufe in und für die Finanzverwaltung unter Einbeziehung der Steuerpflichtigen vorrangig als Erleicherung für die Steuerpflichtigen gepriesen.
Das Steuervereinfachungsgesetz sieht schließlich bundeseinheitliche Standards für eine zeitnahe Betriebsprüfung vor; erhebliche Zeiträume zwischen der Begründung der Steuerschuld und einer Betriebsprüfung sollen so künftig vermieden werden. Rasier im Grundsatz zu begrüßen. Nicht zuletzt dann, wenn infolge von Feststellungen der Bp nachzubessern ist, wird dies durch Zeitabläufe erfahrungsgemäß erschwert.
Die der Abgeltungssteuer unterliegenden Kapitalerträge werden sich ab dem Veranlagungszeitraum 2012 nicht mehr auf die bisher in § 2 Abs. 5b Satz 2 Nr. 2 EStG genannten Abzugstatbestände (insb. nicht mehr auf die zumutbare Belastung im Rahmen des § 33 Abs. 3 EStG) auswirken. Es fällt in diesem Zusammenhang die Möglichkeit weg, diese Kapitalerträge auf Antrag bei der Berechnung des Spendenhöchstbetrags nach § 10b Abs. 1 EStG zu berücksichtigen. Die bereits zwecks Abgeltung besteuerten Kapitaleinkünfte müssen insoweit anders als bisher weder vom Steuerpflichtigen erklärt noch von den Finanzämtern veranlagt werden.
Erstattungsüberhänge von Sonderausgaben aus § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 3a EStG werden in der Zukunft mit anderen Sonderausgaben des Erstattungsjahrs verrechnet, die unter die gleiche Nummer des § 10 Abs. 1 EStG fallen. Lassen sich Erstattungsüberhänge aus § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG auf diese Weise nicht ausgleichen, so erhöhen sie den Gesamtbetrag der Einkünfte des Erstattungsjahres. Entsprechend gilt das auch für erstattete Kirchensteuer aus einem Vorjahr (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Nach § 10 Abs. 4b Satz 1 EStG sind steuerfreie Zuschüsse, die der Steuerpflichtige für in einem anderen Veranlagungszeitraum geleistete Sonderausgaben aus § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 3a EStG erhält, in Zukunft zudem einer Sonderausgabenerstattung gleichzustellen. Hier wird in der Tat in der Praxis ein nicht unerheblicher Bürokratieabbau erreicht werden.
Zudem wird es einzelne Vereinfachungen und Entlastungen für einzelne Bevölkerungsgruppen geben, verbunden zum Teil aber auch mit spürbaren Nachteilen.
So wird die Arbeitnehmerpauschbetrages von EUR 920,— auf eur 1.000,— erhöht. Das führt nach Angaben der Bundesregierung dazu, dass ca. weitere 550.000 Arbeitnehmer auf das Sammeln von Belegen zur Erlangung ihnen möglicher Steuervorteile verzichten können. Insgesamt beträgt die finanzielle Entlastung durch das Steuervereinfachungsgesetz für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach der Behauptung der Regierung etwa 330 Millionen Euro pro Jahr. Bei derartigen Zahlen wird man beachten müssen, dass ausgehend von der mutmaßlich maximal erzielbaren Erleichterung gerechnet wird. Der Komplikation unseres Steuersystems ist geschuldet, dass viele Vieles nicht in Anspruch nehmen. Die Erhöhung von Freibeträgen, wie geschehen, kann dem in der Logik unseres Systems von Besteuerung und Abzug entgegen wirken.

Die Gesetzesänderung sieht ferner Vorteile für Eltern vor. Ab 2012 (erstmals mit der Steuererklärung für 2012) können Kinderbetreuungskosten einfacher absetzen werden. Es spielt künftig keine Rolle mehr, ob die Betreuungskosten aus beruflichen oder privaten Gründen anfallen. Dadurch generiert sicherlich eine größeren Anzahl von Familien Steuervorteile, als bisher. Die Bundesregierung schätzt, dass hierdurch Steuervorteile im Umfang von ca. 60 Millionen Euro realisiert werden können. Ab 2012 entfallen überdies die aufwändige Einkommensüberprüfung bei volljährigen Kindern unter 25 Jahren für Kindergeld und Kinderfreibeträge. Beim Kindergeldantrag und bei der Einkommensteuererklärung müssen also anders als bisher erstmals bei Erklärungen für das Jahr 2012 die bisher eingeforderten Nachweise nicht mehr geliefert werden. Eltern werden also auch dann volles Kindergeld erhalten, wenn deren Kinder während deren ersten Berufsausbildung oder deren Erststudiums verdienen. Die daraus folgende finanzielle Entlastung kalkuliert die Bundesregierung mit 200 Millionen Euro.
Ab 2012 wird es zudem eine einfachere Vergleichsberechnung bei der Entfernungspauschale geben. Bei abwechselnder Nutzung des öffentlicher Verkehrsmittel und des Autos für den Arbeitsweg, müssen die jeweiligen Kosten künftig nicht mehr für jeden Tag nachgewiesen werden. Die Finanzverwaltung vergleiche künftig nur noch die Jahreskosten.
Erfolgte die Vermietung einer Wohnung zu Wohnzwecken für weniger als 56 % der ortsüblichen Miete, so war diese im Zuge der Besteuerung in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufzuteilen. Betrug die Miete mehr als 56 %, aber unter 75 % der ortsüblichen Miete, war im Falle einer damit verbundenen negativer Totalüberschussprognose ebenfalls eine derartige Aufteilung vorzunehmen. 21 Abs. 2 EStG sieht dem entgegen künftig vor, dass eine Aufteilung in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil immer nur bei einem Entgelt von weniger als 66 % der ortsüblichen Miete vorzunehmen ist, andernfalls gilt die Wohnungsvermietung in der Zukunft uneingeschränkt als entgeltlich. Auch hier wird der Verwaltung Prüfungsaufwand erspart und für den Steuerpflichtigen mehr Transparenz erzeugt. Was (unvermeidlich) bleibt, ist ein etwaiger Streit über die ortsübliche Miete. Die uneingeschränkte „entweder – oder“ Regelung erhöht im Grenzereich überdies das Risiko von Steuernachteilen.
Das Veranlagungswahlrecht für Ehegatten wird vereinfacht. Die Zahl der Veranlagungs- und Tarifvarianten wird von bisher sieben auf vier reduziert, nämlich die Einzelveranlagung mit Grundtarif, das Verwitweten-Splitting, das „Sondersplitting” nach § 32a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EStG im Trennungsjahr und die Zusammenveranlagung mit Ehegattensplitting. Die besondere Veranlagung für den Veranlagungszeitraum der Eheschließung (§ 26c EStG) entfällt. Während Ehegatten in der Vergangenheit ihre bei Abgabe der Steuererklärung getroffene Wahl der Veranlagungsart bis zur Bestandskraft des betreffenden Steuerbescheids und auch im Rahmen von Änderungsveranlagungen beliebig oft ändern konnten, ist ein nachträglicher Wechsel der Veranlagungsart nach Eintritt der Unanfechtbarkeit künftig nur noch in Ausnahmefällen möglich.

Fazit: Ein lachendes und ein weinendes Auge des Verfassers