Harald Nickel zum Konversions-Erstzugriffsrecht in der Immobilien-Zeitung Nr. 38, S. 17

6. Oktober 2013 - Konversion/Projektentwicklung

Ob die US-Streit­kräf­te aus Hei­del­berg und Mann­heim oder die Fran­zo­sen aus Saar­burg und Bit­burg: Über­all, wo die Ar­me­en der frü­he­ren Al­li­ier­ten ab­zie­hen, blei­ben leer ste­hen­de Ge­bäu­de und un­ge­nutz­te Flä­chen zu­rück. Rechts­an­walt Ha­rald Ni­ckel von der Ha­nau­er Kanz­lei Ni­ckel Ei­ding wirft einen Blick auf das so ge­nann­te Erst­zu­griffs­recht der Kom­mu­nen, das der Haus­halts­aus­schuss des Bun­des­tags im März die­ses Jah­res be­schloss. Er er­läu­tert, wel­che Chan­cen es für die Be­tei­lig­ten bie­tet und wel­che recht­li­che Stol­per­stei­ne er er­kennt.
In Saarburg war bis 2010 das 16. Jägerbataillon des französischen Militärs stationiert, 2011 (Bild) wurde dann schon kräftig gebuddelt. Das Gelände ist in die Stadtentwicklung eingebunden worden, u.a. sollen Wohnungen und Einkaufsmöglichkeiten entstehen.

Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) teilt aufgrund eines Beschlusses des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags vom 21. März 2012 mit, es sei den örtlichen Kommunen unter Ausschluss des Zugriffs des Marktes ein Erstankaufsrecht bzw. ein Erstzugriffsrecht in Bezug auf zur Veräußerung anstehende Militärgelände eingeräumt worden (Ausschussprotokoll vom 21. März 2012, Ausschussdrucksache 17(8)4356).

Diese scheinbare Rechtsänderung wird als Stärkung der Rechtsstellung der Kommunen gegenüber der Bima begrüßt. Zudem wird sie als Reaktion auf die Kritik verstanden, die Verfolgung allein kaufmännischer Interessen des Bundes bei Verkäufen von Konversionsflächen behindere unangemessen die Umsetzung städtebaulicher Ziele der betroffenen Kommunen. Diese Kritik ist zumindest insoweit berechtigt, wie der Versuch der Bima belegt, kommunales Planungsrecht durch Berufung auf juristischen „Bestandsschutz“ von militärischen Wohnimmobilien – der in Wahrheit nicht existiert – zu unterlaufen.

Formal keine Rechte

Formale Rechte der Kommunen begründet der Beschluss des Haushaltsausschusses tatsächlich jedoch nicht. Bei der Entschließung des Haushaltsausschusses, die vermeintlich Rechte der Kommunen auf bevorzugten Erwerb begründet, handelt es sich um einen Maßgabebeschluss. Es ist also eine für die Wirksamkeit von Kaufverträgen der Bima nach erforderliche Genehmigung künftiger Verkäufe (§ 64 Bundeshaushaltsordnung) unter definierten aufschiebenden Bedingungen, die dann jeweils beim Eintritt der Bedingung im Einzelfall wirksam wird. Mit seinem Maßgabebeschluss legt der aktuelle Haushaltsausschuss bezogen auf künftige Grundstücksgeschäfte nur fest, unter welchen Voraussetzungen er Verkäufe der Bima an Kommunen (oder an von ihr beherrschte Institutionen) ohne Bieterkonkurrenz und ohne Marktabfrage akzeptiert.

Bima muss Verkehrswert fordern

Der Ausschuss wäre auch nicht berechtigt gewesen, ein nach dem (Bima-)Gesetz etwaig im Einzelfall nicht zulässiges Erstzugriffsrecht konstitutiv zu schaffen. Es wird also keine Verkaufspflicht der Bima begründet, aus welcher sich ein Erstzugriffsrecht der Kommunen ableitet. Damit hat die Bima weiterhin die Rechtmäßigkeit jedes Erstzugriffs anhand des Bima-Gesetzes und der Rechtsordnung im Übrigen selbstständig zu prüfen und kann nach ihrem Ermessen den Erstzugriff zulassen oder nicht.

Damit die Vorabgenehmigung des Ausschusses wirksam ist, müssen die von ihm formulierten Bedingungen gewahrt sein. Die Bima hat demnach insbesondere einen Kaufpreis zu verlangen, der einem geschätzten „zukünftigen“ Verkehrswert entspricht, in dem er die Planungsziele der Kommune umfassend berücksichtigt. Dieser ist nicht im Bereich des planungsunabhängigen Anfangswerts angesiedelt und kann selbst den Verkehrswert zu Zeiten der Ausübung des Erstzugriffsrechts erheblich übersteigen. Der Erstzugriff erfordert demnach, dass die Kommune die Verkehrserwartung und alle ihre – gegebenenfalls wertsteigernden – Planungsziele festlegt, damit auf dieser Grundlage der Verkehrswert und damit der Kaufpreis ermittelt werden kann.

Zusätzlich muss sich die Kommune für die Dauer von bis zu 20 Jahren verpflichten, Zahlungen in Höhe von 50% dessen zu leisten, was an Wertzuwachs wegen späterer Änderungen des kommunalen Planungsrechts möglicherweise entsteht. Und zu guter Letzt muss der Erstzugriff sehr kurzfristig ausgeübt und im Anschluss an die Verkehrswertfestlegung der Bima auf deren Grundlage vollzogen werden.

Keine rechtliche Bindung

Kommunen werden an ihren Erstzugriff nicht rechtsverbindlich gebunden. Die Kommune muss, wenn sie später von einem Ankauf wieder Abstand nimmt, keinen Schadenersatz fürchten. Ein solcher könnte sich zwar theoretisch aus einem Verschulden bei der Vertragsanbahnung ergeben. Da aber bei der Ausübung des Erstzugriffsrechts die Vertragskonditionen noch nicht festgelegt sind, entfällt dieses Risiko regelmäßig.

Bei einem ersten Blick auf die Fakten erscheint die Beschäftigung der Kommunen mit dem Erstzugriff nicht lohnend. Das ergibt sich aus vier Punkten: 1. Die Kommunen haben keinen formaljuristischen Erwerbsanspruch. 2. Wegen der anstehenden Bundestagswahl wird bald ein neu konstituierter Ausschuss zuständig sein. 3. Der Vorbereitungsaufwand eines Erstzugriffs ist zwangsläufig recht hoch. Und 4. wirken die Bedingungen zur Höhe des Mindestkaufpreises überzogen.

Bima zeigt sich gesprächsbereit

Dem ist aber nicht so. Das zeigt sich in aktuellen Fällen bei mehreren Konversionskommunen, die ihr Vorgehen gegenüber der Bima insbesondere auch juristisch sachgerecht geplant haben. Die momentane praktische Handhabung des Beschlusses des Haushaltsausschusses durch die Bima signalisiert Folgendes: Wenn Kommunen den Erstzugriff sorgfältig vorbereiten und betreiben, ist die Bima zu einem sachgerechten Interessenausgleich bereit. Das ermöglicht zum Beispiel die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum auf Flächen mit hohem Potenzial, die von der Kommune im Detail und langfristig organisiert werden kann, oder die Realisierung anderer Planungsziele besser, als es auf anderem Wege denkbar wäre.

Das wiederum macht für private Investoren eine Kooperation mit Konversionskommunen interessant. Denn bei einem Einstieg in die Projekte nach dem Vollzug des Erstzugriffs steht dem Investor dann die Kommune als alleiniger Ansprech- und Projektpartner zur Verfügung. Das ist ein Vorteil gegenüber dem ansonsten notwendigen Spagat zwischen Preisverhandlungen mit der Bima in Konkurrenz zum Markt einerseits und der gleichzeitigen Abstimmung mit der Kommune über das erforderliche künftige Baurecht andererseits.

Gute Idee, mäßige Umsetzung

Angesichts der breiten Zustimmung zum Maßgabebeschluss im aktuellen Haushaltsausschuss durch Koalition und SPD ist nicht mit dessen Revision nach der Bundestagswahl zu rechnen. Vielmehr wird es eher zu dessen wünschenswerter Kodifizierung im Wege der Änderung des Bima-Gesetzes kommen. Eine solche Aufnahme des Erstzugriffs in das Gesetz würde juristisch den momentan vorhandenen Zielkonflikt lösen. Denn einerseits soll nach dem Verständnis des Ausschusses in Fällen des Erstzugriffs kein Preiswettbewerb stattfinden. Andererseits fordert das Gesetz aber aktuell von der Bima allein kaufmännisches Handeln, vielleicht also gerade die Einbeziehung des Markts.

Spätestens der Gesetzgeber hätte zudem Folgendes zu klären: Dürfen tatsächlich der Wettbewerbsvorteil und die damit verbundenen Marktchancen, die der Ausschluss der Konkurrenz vom Zugriff auf Grundstücke mit sich bringen, auch denjenigen kommunal beherrschten Gesellschaften gestattet sein, die – gegebenenfalls gar unter privater Beteiligung – als Wettbewerber am Immobilienmarkt auftreten? Der Haushaltsausschuss bejaht dies. Zu berücksichtigen sind hierbei die primärrechtliche Geltung der Regeln des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), des grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgebots und des Wettbewerbs- und Deliktsrechts. Nur wer den Staat bei Grundstücksverkäufen lediglich an Regeln des Beihilferechts und nicht anderweitig gebunden sieht, wird den Erstzugriff solcher Marktteilnehmer angesichts dessen, dass damit korrespondierend zwangsläufig Wettbewerber benachteiligt werden, für zulässig halten. Dieses Problem hat der Ausschuss nicht beleuchtet.

Soll die Ausübung des Erstzugriffsrechts im Vergleich zu anderweitigen Verwertungsformen (Preis-)Vorteile generieren, so haben die Kommunen zweierlei zu beachten. Da es keine geeignete juristische Möglichkeit der Überprüfung von Bima-Verkehrswertvorgaben gibt, sollte die Kommune anderweitig sicherstellen, dass ihre Vorstellungen angemessen, frühzeitig und vor einer abschließenden Festlegung in die Verkehrswertbetrachtung der Bima einfließen. Das wird aktuell modellhaft von einer Kommune im Wege einer planungsbegleitenden Verkehrswertbestimmung im kooperativen Zusammenwirken mit der Bima praktiziert.

Möglichkeiten ausschöpfen

Mit Blick auf die gebotene Ermittlung der Verkehrswerte der Konversionsflächen, die gegebenenfalls auch Elemente der deduktiven Verkehrswertschätzungen enthalten können, ist festzustellen: Bei keinem bisherigen Konversionsvorhaben und seitens keiner der beteiligten Kommunen wurde bisher das Kommunen zukommende juristische Instrument der Einflussnahme auf die Kalkulationsgrundlagen eingesetzt oder auch nur wahrgenommen. Zumeist werden lediglich planungsrechtlich Ausnutzungen und Nutzungsformen wertbildend vorgegeben. Wie laufende Erstzugriffsverhandlungen belegen, ist sich die Bima weiterer juristischer Instrumente wohl bewusst und respektiert deren Einsatz, solange er mit Augenmaß erfolgt. Wenn man die Chancen berücksichtigt, die jene weithin brachliegenden Einflussmöglichkeiten der Kommunen bieten, dann verliert die Definition des Mindestpreises durch den Ausschuss ihren vermeintlichen Schrecken – wenn geeignet vorgegangen wird.

Und zu guter Letzt ein Hinweis für Interessenten, die gegenüber kommunalen Unternehmen wegen des Erstzugriffsrechts den Kürzeren gezogen haben: Sie sollten bedenken, dass das vom Haushaltsausschuss erdachte Verfahren aufgrund der genannten rechtlichen Kritikpunkte nicht (stets) zulässig sein muss. (ba)

Harald Nickel zum Konversions Erstzugriffsrecht in der Immobilien Zeitung Nr. 38